Fünf Dinge, die man bei der NZZ lernen kann

Fünf Dinge, die man bei der NZZ lernen kann, Foto: Mischa Thalmann; G6d (Presse-Team)

Klinisch weisse Wände, indirekte Beleuchtung, LED-Bildschirme mit Schlagzeilen und unterkühlt designte Möbel: Etwas verunsichert steht das Presseteam der Kantonsschule Uster in der Empfangshalle der NZZ an der Falkenstrasse 11 in Zürich. Die fünf Texterinnen und Texter sowie die beiden Redaktionsmitglieder Miriam Kienast und Thomas Fertek haben an diesem Montagvormittag eine Weiterbildung bei der ältesten Zeitung Zürichs – eine kleine Geste der Wertschätzung für den freiwilligen Einsatz dieser Schülerinnen und Schüler, der die Website der Kantonsschule mit Berichten über das Schulgeschehen belebt. 
Als Katja Baigger, Redaktorin und Blattmacherin im Ressort Zürich, durch die Tür tritt und alle herzlich begrüsst, verpufft die Verlegenheit innert weniger Augenblicke. Doch was haben die Journalistinnen und Journalisten der Kantonsschule Uster an diesem Tag gelernt?

  1. Bei einer Zeitung arbeiten Langschläfer
    Katja Baigger führt die Gruppe durch die historisch gewachsene und erstaunlich verwinkelte Architektur der Redaktion. Die Baustile ändern auf Schritt und Tritt, die altehrwürdigen, getäferten Sitzungszimmer samt ernster Konterfeis der Verwaltungsräte beeindrucken. Bei der «NZZ am Sonntag» ist die Tür geschlossen und dahinter ist es dunkel: Der Montag ist Ruhetag für das Redaktionsteam, das samstags bis in die Nacht arbeitet. Aber auch in den diversen Büros der täglich erscheinenden «Neuen Zürcher Zeitung» sind noch zahlreiche Bildschirme ausgeschaltet und Arbeitsplätze unbesetzt. «Der Newsroom, von wo aus NZZ.ch bespielt wird, ist von morgens bis spät in die Nacht besetzt, doch viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten seit der Pandemie auch aus dem Home-Office. Die Print-Produzenten beginnen ihre Schicht um 14:00 Uhr und bleiben, bis die Printausgabe in den Druck geschickt wird», erklärt Katja Baigger.
     
  2. Online ist das Fastfood-Buffet, die Printausgabe das Genuss-Menu der NZZ Haute-Cuisine
    Auch bei der NZZ heisst es mittlerweile «online first»: Im grossen Newsroom verarbeiten bereits Journalistinnen und Journalisten die ersten Nachrichten zu Push-Meldungen, Tweets und Einträgen auf der Website der NZZ. Knackige Titel und «clickable content» mit dem Qualitätsanspruch der NZZ zu kombinieren, lautet das Gebot. An einer grossen Bildschirmwand werden im Zehn-Sekunden-Takt Statistiken veröffentlicht: Welcher Artikel wird am häufigsten gelesen, wie lange war die Verweildauer? Solche Zahlen bestimmen auch, wie das Thema weiterverfolgt wird und ob das Thema es in die Printausgabe schafft. Ein Bildschirm zeigt abwechselnd Newsportale aus der ganzen Welt: Die Konkurrenz um die schnellste Meldung hat man so immer im Blick.

    Für die Printausgabe finden sich immer weniger Leserinnen und Leser, auch in der Runde des Presseteams der Kantonsschule Uster liest nur noch die Minderheit eine physische Zeitung regelmässig. Wenn jedoch eine gedruckte Zeitung eine Leserin oder einen Leser findet, liest diese oder dieser sie meist intensiver und umfassender, die Ausgabe wird von Anfang bis Ende durchgeblättert. Algorithmen filtern hier nicht nach früheren Präferenzen und bieten das, was die Zeitungsprofis für lesenswert halten.
     
  3. Artikel und Berichte kann man auch im Homeoffice verfassen
    Auf neun Uhr ist die Sitzung des Züri-Ressorts gesetzt. Zuerst werden Notebooks hochgefahren, Kabel eingesteckt, Einstellungen geprüft. Zwei Redaktoren melden sich über Teams zur Sitzung an, sie arbeiten von zu Hause aus oder gehen später direkt auf Reportage. Kurz darauf ist eine Konzentration da, die man sich in jedem Klassenzimmer wünschen würde: Schnell und unverblümt werden gemeinsam die am Vortag produzierten und am heutigen Tag frühmorgens im Print und online erschienenen Artikel besprochen. Sprachliche, stilistische und inhaltliche Aspekte werden kritisch beleuchtet, die Schreiberinnen und Schreiber erhalten so direktes Feedback. Danach geht es an die Planung der heutigen Berichterstattung und alle verschaffen sich eine Übersicht, was ansteht, in Vorbereitung ist und wo sich eine vielversprechende Story in Luft aufgelöst hat. Höchst effizient wird hier geplant und werden Schwerpunkte gesetzt, Ressortleiter Daniel Fritzsche hält die Zügel straff in der Hand. Mittlerweile verdeckt die Planungsliste das Gesicht der aus dem Home-Office zugeschalteten Redaktorin. Ist sie noch da? Woran wird sie heute arbeiten? Erinnerungen an den Fernunterricht in der Schule werden wach.
     
  4. Im Journalismus gelten die gleichen Regeln wie im Deutschunterricht
    Katja Baigger nimmt sich der Texte des angereisten Presse-Teams an. Jedes Mitglied hat einen Text zum Kantiball verfasst. Im Fokus der Journalistin stehen jeweils ein stimmungsvoller und informativer Einstieg, eine klare Textstruktur, griffige Zitate, klar formulierte Fakten und prägnante Aussagen. Aber auch spannende Details, die die Autorinnen und Autoren mit der Zoom-Technik genau beschreiben und so dem Text Leben einhauchen, finden ihre Anerkennung. „Das sind Dinge, die einem jede Deutschlehrperson immer wieder sagt: «show, don’t tell», erinnert sich Alessia an vergangene Lektionen im Schreibunterricht an der Kantonsschule. Die Gruppe bespricht einzelne Texte, Ideen und Lösungen und vergleicht sie auch mit dem «Feature», das als Textsorte den vorliegenden Texten am ehesten entspricht. Ein sehr hilfreicher Austausch für künftige Artikel und Katja Baigger kommentiert sicher wohlwollender, als es eine Deutschlehrperson tun würde.
     
  5. Neue Lesegewohnheiten brauchen neue Textformen
    Mit der Lektüre auf dem Bildschirm und Hyperlinks an allen Enden braucht es kreative Techniken, um den Leser an den Text zu binden. Katja Baigger stellt dem Team das «Listicle» vor (aus den englischen Wörtern «list» und «article» geschmiedet). «Durch die klare Struktur, die Möglichkeit, an markierten Punkten im Text ein- und auszusteigen, werden die Leserinnen und Leser eher einen längeren Text in Angriff nehmen. Gute Zwischentitel ermöglichen es, den Leser, die Leserin bei Stange zu halten», erläutert Katja Baigger. «Kann so Stimmung aufgebaut werden?», meldet sich die innere Stimme des Deutschlehrers. Seiner Meinung zufolge geht bei solchen Info-Häppchen der poetische Anspruch an einen Text verloren. Doch falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, diesen Text bis hierhin verfolgt haben, oder auch nur schnell zu diesem letzten Abschnitt gesprungen sind, haben Sie seine Bedenken bereits widerlegt: Um die Probe aufs Exempel zu machen, wurde dieser Text in der Form eines Listicles verfasst.
     

Das Presseteam der Kantonsschule Uster dankt der NZZ und der Züri-Redaktion herzlich für die ermöglichten Einblicke und Katja Baigger für die eindrückliche Weiterbildung samt Znüni!