Motiviert für Zusatzaufwände: Unterrichten im Home-Office

Unterrichten im Home Office

Montagmorgen: Auf dem Stundenplan stehen acht Lektionen. Im Corona-Modus wird dieser Tag zum «Monster Monday»: Eine Doppelstunde Deutsch mit der 5. Klasse, dann zwei Doppelstunden Englisch mit zwei 4. Klassen, gekrönt mit zwei Stunden Freifach für englische Sprachdiplome. Im Home-Office erfordern diese Lektionen sorgfältige Planung, ansonsten läuft man Gefahr, bereits vor dem Mittagessen völlig erschöpft zu sein. In der dritten Woche will ich mir meine Kräfte besser einteilen, denn die Bedienung mehrerer Programme und Kommunikationskanäle sowie die andauernde Leader-Rolle in den Präsenzlektionen des Fernunterrichts zehren an den Kräften.
Es ist 07.20 Uhr, normalerweise würden für mich im Schulhaus nun die letzten Vorbereitungen für den Tag laufen, so aber stehen die Lektionenpläne bereits detailliert ausformuliert seit Mitte letzter Woche in OneNote und sind dort für die Schüler einsehbar. Diesen zeitlichen Vorsprung habe ich mir während der letzten Wochen hart erarbeitet, denn das Schulhaus ist in meine vier Wände umgezogen, und das innerhalb eines Wochenendes! Entsprechend froh bin ich über die anstehenden Frühlingsferien, um mich auf die wohl danach folgenden, weiteren «Distance-Learning»-Lektionen vorzubereiten.


Doppelstunde Deutsch
Um 07.35 Uhr, fünf Minuten nach Lektionsbeginn, ist etwa die Hälfte der Klasse am arbeiten bzw. in Teams eingeloggt. Teams, das ist ein Programm aus dem Angebot, das die Schule neben OneNote im Rahmen des BYOD-Konzeptes eingeführt hat. Wie froh bin ich um die erst kürzlich durchgeführte Weiterbildung! Eigentlich wollte ich während der Sommerferien an dieser Kommunikationsplattform testen und tüfteln, nun ist es ein Learning-on-the-job. Bei den ersten Schritten kam ich mir wie ein Seiltänzer vor, der ohne Netz und vor Publikum seinen ersten Auftritt hat und dabei einen Trick wagt, den er zuvor flüchtig in einem YouTube-Tutorial gesehen hat.

Glücklicherweise sind meine Klassen bereits seit längerem mit OneNote vertraut und auch die 3. Klasse hat zu Semesterbeginn recht problemlos auf BYOD umgesattelt. So ist bereits eine gute Basis für das neue «Adapted Distance Learning» gelegt, wo die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeiten erledigen können. Während einige sich fleissig mit Romantik auseinandersetzen, Original-Texte lesen, Fragen beantworten, Kurzfilmchen zu Werken oder die Bilder von Caspar David Friedrich betrachten, die ich übers Wochenende hochgeladen habe, reiben sich andere wohl erst die verschlafenen Augen. War da das Sandmännchen am Werk?

Ah ja, der Sandmann! Wie hat die Klasse denn da gearbeitet? Ich klicke mich durch die Notizen der Schülerinnen und Schüler, kommentiere und versuche, aufmunternde Feedbacks zu geben. Vereinzelt starrt mich auch nach der dritten Synchronisierung ein leeres Arbeitsblatt an – es sind oft die Arbeiten jener, die es auch sonst mit den Pflichten nicht so genau nehmen – in solchen Fällen notiere ich mir den Namen und mache einen entsprechenden Vermerk. Da werden die Klassenlehrer wieder Zeit investieren müssen, um die Säumigen zur Ordnung zu rufen. Denn das ist auch SOL: Selbst Verantwortung für sein Lernen übernehmen. Einige schaffen es problemlos, laufen gar zur Höchstform auf, wenn sie sich in Ruhe und schriftlich ausdrücken können, andere wiederum verkriechen sich hinter abgeschalteten Kameras und stummen Mikrofonen, sofern Sie sich überhaupt am Klassen-Video-Chat beteiligen. Für all jene, die Verantwortung zeigen, wünsche ich mir, dass sich ihr Einsatz lohnen wird – es sind jene neugierigen und interessierten Schülerinnen und Schüler, auf die ich momentan meine Lektionen ausrichte, sie motivieren mich, diesen Zusatzaufwand zu leisten. 

Um 08.50 Uhr steht der angekündigte Videochat an. Ich eröffne in Teams eine Konferenz. Nur Sekunden später habe ich bereits 19 Teilnehmer, das Gros der Klasse. „Schiessen Sie los, stellen Sie ihre Fragen“, fordere ich die Klasse auf. Die ersten Fragen kommen zögerlich, die Schülerinnen und Schüler sind sehr diszipliniert, aber auch zurückhaltend. So spricht man als Lehrperson häufig in einen luftleeren, schweigenden Raum. Das verleitet gerne zum Monologisieren und macht einem schmerzlich bewusst, wie wichtig auch nonverbales Feedback einer Klasse für die Gestaltung einer Lektion ist. In solchen Chats entstehen selten echte Diskussionen.

Doppelstunden Englisch
Die erste Doppelstunde in Englisch um 9.20 Uhr verläuft sehr ruhig. Die Klasse arbeitet im «Student’s Book», das auf OneNote hinterlegt ist. Die Aufträge sind recht klar vorgegeben, aber immer wieder ähnlich, etwas eintönig und dadurch nur wenig motivierend. All die kleinen Zwischengespräche, Überleitungen, Erweiterungen und Zusatzerklärungen fallen durch das Distance Learning weg. Das ist, wie wenn ich in die Klasse käme, die Seitenzahlen des Buches und die Aufgabennummern projizieren würde und mich dann hinsetze, um die nächste Lektion vorzubereiten. Bei Fragen dürfte man nach vorne kommen. So würde mir mein Beruf nach nur wenigen Wochen verleiden. Langsam würde er das wohl auch jetzt, wenn man die «gewonnene» Zeit nicht in attraktivere Stunden investieren könnte, die dann die Motivation der Schülerinnen und Schüler, aber auch meine persönliche, wieder heben würden.
Eine solche Motivationslektion ist mit der Klasse angedacht, die die Doppelstunde vor Mittag hat. Thematisch passend zur Pygmalion-Lektüre sehen sich die Schülerinnen und Schüler diverse Videos mit englischen Dialekten an, üben sich in Zungenbrechern, bei denen sie ihre besten Versuche über OneNote aufnehmen, und absolvieren ein Tutorial für einen sauberen «American Accent». Nach der Lektion haben viele den ebenfalls aufgenommenen Beispielsatz so gut gesprochen, dass ich mich mehrmals vergewissern musste, wer den Satz spricht: Das sonst allgegenwärtige «Swinglish» war wie weggeblasen.

Endspurt
Kurz nach 13 Uhr ist Mittagspause. Meine Tochter kommt aus ihrer Home-Schooling-«Höhle» im Nebenzimmer und fragt, was auf den Tisch kommt. Um 14.05 Uhr muss sie gegessen haben und in die nächste Lektion, eine vorgängige Planung und zügiges Arbeiten ist also auch hier gefragt. Auf mich warten am späten Nachmittag neben neuen Anfragen aus den Klassen und administrativen Aufgaben noch zwei Freifachkurse: Hier werde ich mündliche Probe-Prüfungen im Advanced per Videochat und Desktop-Sharing mit gleichzeitiger Aufnahme starten. Dies tönt komplizierter, als es ist, und funktioniert erstaunlich gut. In der kurzen Pause muss ich den erstellten Film für die Kandidaten hochladen. Im Proficiency besprechen wir im Chat die Ergebnisse der korrigierten und bewerteten Tests von letzter Woche. Um 18.15 Uhr ist für mich Feierabend – etwas weniger erschöpft als auch schon und mit weniger Sorgen als zu Beginn, wie meine Klassen und ich das Distance Learning packen werden.