«Wenn die anderen in den Schulferien nach Adelboden oder Arosa gingen, dann hiess es bei mir: Wir gehen in die DDR», erzählte Thomas Strässle an der Lesung vom 24. November 2025 in der Aula der KUS. Die Aussage bezieht sich auf die Zeit, in der Deutschland noch in BRD und DDR geteilt war, und veranschaulicht Strässles prägende Besuche in der DDR als Kind. In der ‹Fluchtnovelle›, die 2024 erschienen ist, rekonstruiert er die Fluchtgeschichte seiner Eltern, die sich blutjung während einer Studienreise 1965 kennen- und liebengelernt hatten. Sie war eine Studentin aus der DDR, er ein Student aus der Schweiz. Mit dem Wunsch nach einem gemeinsamen Leben im Westen und der bedrückenden Einsicht, dass dies auf legalem Weg nicht möglich wäre, schmiedeten sie gemeinsam einen Plan.
In der Lesung erzählte Strässle von seiner Doppelrolle als Literaturwissenschaftler und Autor. Für ihn sei es eine ungewohnte Situation, über sein eigenes Buch zu sprechen, da er in seinem Alltag sonst immer Werke anderer Autorinnen und Autoren analysiert. Besonders die Tatsache, dass es sich dabei um die Geschichte seiner eigenen Eltern handelt, hemmte ihn lange Zeit, dieses Buch überhaupt zu verfassen. 35 Jahre lang schwirrte ihm der Gedanke, dieses Buch zu schreiben, im Kopf herum, bis er bei einem Gespräch mit einem guten Freund schliesslich schwor, dies tatsächlich zu tun. Strässle wusste seit Kindertagen von einem Tonband, auf dem ein Gespräch seiner Eltern aufgezeichnet war. Dieses besorgte er sich halblegal aus dem Schweizerischen Literaturarchiv und es diente ihm später als Grundlage für das Schreiben.
Die Entscheidung, eine Novelle zu verfassen, war bewusst getroffen worden, da sich eine Novelle im Unterschied zu einem Roman stärker an der Ereignisebene orientiert. Dies erlaubte Strässle, die raffinierte Flucht durch den Eisernen Vorhang zu erzählen, ohne sich dabei zu stark in die Innenwelten seiner Eltern hineinversetzen zu müssen. Die Reaktion der Eltern auf das Buch fiel sehr positiv aus, berichtete er auf eine Frage hin. Mit einem interessanten Einblick in den Schreibprozess erklärte der Autor zudem, warum er in der ‹Fluchtnovelle› spezielle Stilmittel wie Gesetzestexte oder dramenähnliche Abschnitte nutzte und wie es ihm dadurch gelang, die Figuren selber erzählen zu lassen. Besonders die Geschichte über zwei Schweizer Fluchthelfer, die kurz vor der Flucht seiner Eltern inhaftiert wurden, war sehr beeindruckend und verdeutlichte nochmals die Ernsthaftigkeit und Gefahr der ganzen Aktion.
Die Lesung sorgte bei der Schülerschaft für grosse Begeisterung. Thomas Strässle machte einen sehr sympathischen Eindruck. Die Atmosphäre in der Aula war locker und hob sich auf positive Weise vom alltäglichen Schulleben ab. Der Autor war offen für jegliche Fragen, was einen lebhaften Austausch mit dem Publikum ermöglichte. Die Lesung war absolut empfehlenswert und verbesserte das Textverständnis in jeglicher Hinsicht.